Patricia Koelle: Alles voller Himmel 3

Patricia Koelle: Alles voller Himmel

Patricia Koelle: Alles voller Himmel


Patricia Koelle
Alles voller Himmel
Roman

Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-939937-11-1




Leseprobe


3. Fragen und Antworten

Mit dem Montag kam die erste Wärme. Der Frühling brach als grüne Welle über uns herein. Ebenso wie die Bäume und Beete explodierten die Kinder vor Lebendigkeit und es wurde eine turbulente Woche. Die Aufbruchsstimmung der Natur fuhr ihnen in die Füße und ins Lachen; sie waren ständig am Kichern, niemand konnte stillsitzen. Alina ging es so viel besser, dass sie ihre Krankheit nun gelegentlich vorschob. Sie täuschte Kopfschmerzen vor um hinauszudürfen. Es fiel mir schwer, streng zu bleiben, denn mich lockte die weiche Luft draußen ebenso unwiderstehlich. Tim und Benny, meine ohnehin hyperaktiven Nachmittagskinder, konnten sich überhaupt nicht mehr konzentrieren. Schließlich gingen wir nach draußen und schrieben die Vokabeln in den Sand und mit Kreide auf den Hof.
Die Mittel für Alinas Förderung wurden gekürzt, da es ihr besser ging. Ich musste um einen neuen Vertrag kämpfen, wenigstens bis zu den Sommerferien. Ganz alleine konnte sie die Schultage und den Stoff noch längst nicht bewältigen.
Zu Hause fegte ich den Winterschmutz vom Balkon und bepflanzte die Kästen mit Stiefmütterchen und Kürbissamen. Anthony rief weiterhin jeden Abend an. Der Frühling schien auch ihm gutzutun, er malte wieder mehr Bilder und schickte mir lehrreiche Zeitungsausschnitte.
Einmal schenkte er mir eine bunte, für seine Verhältnisse ungewöhnlich heitere Zeichnung. „Fias Garten“, stand auf einem Wegweiser, der auf einen geschwungenen Torbogen deutete, an dem blaue Trichterblüten rankten. Obendrauf saß ein bunter Phantasievogel und sah mir direkt ins Auge. Links stand ein alter Baum mit gefurchter Rinde und einem dicken Stamm, der sich schützend über einen kleinen Hof mit steinernen Fliesen neigte. Vor dem Tor standen meine weißen Sandalen. Hinter dem Tor erstreckte sich ein grüner Rasen mit Blumenbeeten und einem weiteren Baum. Rechts vom Tor wuchsen Sonnenblumen und ein blühender Strauch.

Ich hatte Anthony einmal erzählt, dass ich mir einen eigenen kleinen Garten wünschte. Aber nicht, wie ich ihn mir vorstellte. Dieser passte genau. Ich rahmte das Bild und hängte es neben meinen Schreibtisch.
Am Samstag lag zwischen den Rechnungen, einer Postkarte von Tante Anna und einem dicken Anthony-Brief ein Kuvert mit einer fremden Handschrift. „Jonathan Reimer“ lautete der Absender. Wer das wohl war?
Den Rollstuhlmann hatte ich vollkommen vergessen. Und nun hatte er mir geantwortet! Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Für mich war die Sache erledigt. Als ich die Seite auseinanderfaltete, fiel mir ein Foto in die Hand. Ein Schnappschuss von einem ernst, aber sympathisch blickenden Mann in einem Rollstuhl, der im jungen Gras neben einer kleinen Tanne stand. Der Mann hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah mit sehr blauen Augen nachdenklich in die Kamera.
Eigentlich mag ich dunkelbraune Augen, jedoch diese blauen sah ich mir eine Weile an, bevor ich den kurzen Brief las. Er war in einer ordentlichen, dennoch lebendigen Handschrift abgefasst. Allzu gestochene Handschriften, die aussehen wie gedruckt, ein Buchstabe wie der andere, kann ich nicht leiden. Eine Schrift muss fließen, muss leben, muss tanzen. Diese tat es.
Auf die Sache mit dem Mut ging er nicht ein, beantwortete jedoch meine Frage, was der Grund für den Rollstuhl sei. Eine Muskelkrankheit, von seinem Vater geerbt. Auch er hatte Fragen. Wie groß ich sei? Und ob ich Kinder wolle?
In mir stieg Abwehr hoch; das war mir zu direkt. Und warum Kinder? Hier unterhielten sich zwei Fremde, ich hatte eigentlich auch vor, dass wir uns fremd bleiben würden – und er fragte, ob ich Kinder wollte?
Das Gefühl verflog erstaunlich schnell. Ich hatte auf seine Kontaktanzeige geantwortet, warum auch immer. Wenn er da falsche Schlüsse zog, konnte ich es ihm kaum übel nehmen. Seine Fragen machten Sinn. Ich konnte mir vorstellen, dass er als Rollstuhlfahrer nicht unbedingt mit einer Zweimeterfrau unterwegs sein wollte. Da hätte er ja ein Megaphon gebraucht, um sich zu unterhalten. Und Kinder? Er hatte eine Erbkrankheit, da war es verständlich, dass er eine Frau mit Kinderwunsch nicht brauchen konnte. Im Grunde war es sehr anständig und praktisch von ihm, eine so grundlegende Angelegenheit zuallererst zu klären. Das imponierte mir schon wieder.
Außerdem schrieb ich gerne Briefe. Das lag natürlich an Anthony. Also schrieb ich dem Rollstuhlmann eben noch mal. Dass ich nur einsfünfundsechzig bin. Und dass ich keine Kinder bekommen kann. Seltsam, wie einfach es war, das einem Fremden zu sagen. Mir machte das nichts aus, ich hatte immer schon so viel mit Kindern zu tun gehabt, dass ich nichts vermisste. Aber ich hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Um ein Foto bat er auch. Da ich gerade neue Passfotos abgeholt hatte, brauchte ich das nur aus der Schublade zu fischen.
Als ich Anthony davon am Telefon erzählte, ermutigte er mich, den Brief abzuschicken. An ihn schrieb ich selbstverständlich auch, wie fast jeden Tag. Bei ihm wurden es wesentlich mehr Seiten. Aber bei aller Fröhlichkeit in unserem Briefwechsel lag gelegentlich auch eine Traurigkeit zwischen den Zeilen und eine versteckte Schwere in den Sätzen. Mir fiel auf, dass das Schreiben an den unbekannten Jonathan Reimer eine erholsame Leichtigkeit gehabt hatte.
Die beiden Briefe waren ein schöner Grund, noch einmal in den Frühlingsabend hinauszugehen. Am Sternenhimmel flog schweigend und gewaltig der gute alte Schwan. Ich fragte mich, was er wohl zu meinen merkwürdigen Briefbeziehungen sagen würde. Irgendwie beruhigend, dass das alles für ihn völlig unbedeutend war.
Das Foto von Jonathan Reimer blieb auf dem Schreibtisch liegen und rutschte in den Poststapel. Tage später fand es Benny, der auf der Suche nach Ablenkung während der Nachhilfestunden ständig in meinen Sachen herumwühlte. Kritisch betrachtete er es, lief dann zum Kühlschrank, an dessen Tür unter einem Magneten ein kleines Bild von Anthony haftete. „Wieso sitzt derselbe Mann mal im Rollstuhl und mal nicht?“, fragte er.
„Wieso derselbe Mann? Das ist ein anderer“, sagte ich irritiert.
„Nee. Der sieht doch genauso aus!“
Ich nahm ihm das Foto aus der Hand und hielt es neben das Kühlschrankfoto. Erstaunt kniff ich die Augen zusammen. Tatsächlich, da war eine Ähnlichkeit! Beide Männer hatten denselben Bart, einen fast gleichen Haarschnitt – nun gut, bei Männern gibt es da nicht so viele Varianten – aber auch die Statur war ähnlich und die Nasen und noch etwas Ungreifbares. Nur die Augen: beide hatten blaue, aber in Jonathan Reimers war der Frühlingshimmel unterwegs, während sich in Anthonys schon seit ich ihn kannte sturmgraue Schatten herumtrieben.
Doch die beiden hätten auf jeden Fall Brüder sein können. Zwillinge vielleicht nicht, aber Brüder.
Seltsam. Beinahe unheimlich.


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Stichwörter:
Patricia Koelle, Bestsellerautorin, SPIEGEL Bestsellerautorin, Roman, Liebe, Liebesroman

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